Es gibt Momente, in denen sich ein ganzer Markt schlagartig neu sortiert. Nicht durch einen Skandal. Nicht durch eine Pandemie. Sondern durch eine Spritze. Genauer gesagt: durch die sogenannten GLP-1-Medikamente, die landläufig als „Abnehmspritzen“ bekannt geworden sind. Was mit der Behandlung von Typ-2-Diabetes begann, entwickelt sich gerade zu einer fundamentalen Herausforderung für die Lebensmittelbranche. Und zwar nicht leise im Hintergrund. Sondern laut und spürbar – im Kühlschrank, im Ein
Appetit auf weniger – Wie Abnehmspritzen den Food Sektor herausfordern
Wie Medikamente wie Ozempic und Wegovy das Essverhalten verändern – und warum die Lebensmittelindustrie plötzlich um ihre Snacks fürchtet.
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Wenn das Sättigungsgefühl zum Business Case wird
Beginnen wir mit dem medizinischen Kern: GLP-1-Rezeptoragonisten wie Ozempic oder Wegovy wurden ursprünglich zur Blutzuckerregulation bei Diabetes entwickelt. Ihre Wirkung geht aber weit darüber hinaus. Die Medikamente verlangsamen die Magenentleerung, reduzieren das Hungergefühl und machen schneller satt – das perfekte Werkzeug für eine Gewichtsabnahme, ohne ständig gegen das eigene Verlangen anzuessen.
Allein in den USA hat angeblich bereits jede*r Achte diese Medikamente ausprobiert. Das ist keine Randerscheinung mehr – das ist Massenmarkt. Und das Umsatzpotenzial ist gigantisch: Der GLP-1-Markt wächst mit knapp 30% pro Jahr und könnte bis 2030 mehr als 150 Milliarden Dollar wert sein.
Was das mit Lebensmitteln zu tun hat? Sehr viel. Denn wenn Millionen Menschen plötzlich weniger Appetit haben, spüren das zuerst die Regale im Supermarkt.
Die neue Mathematik des Konsums
Stell dir vor, du isst einfach weniger – nicht, weil du es dir vornimmst, sondern weil dein Körper kein Bedürfnis mehr danach hat. Genau das passiert bei GLP-1-Nutzer*innen. Studien zeigen eine Reduktion der Kalorienaufnahme um 20 bis 30 Prozent – das entspricht grob einer Mahlzeit pro Tag. In harten Zahlen: mehr als 700 Kalorien weniger täglich.
Und weil weniger gegessen wird, wird auch weniger gekauft. Laut Walmart-CEO John Furner geben GLP-1-Nutzer*innen rund 51 Dollar weniger pro Woche für Lebensmittel aus. Das verändert nicht nur die Einkaufsmenge, sondern auch die Produktwahl.
Ultraverarbeitete Lebensmittel – Chips, Süßigkeiten, Softdrinks – landen seltener im Wagen. Stattdessen steigt der Absatz bei frischen Produkten und proteinreichen Snacks. Einige Wissenschaftler*innen vermuten sogar, dass GLP-1-Medikamente die Dopaminausschüttung beeinflussen – also genau den Mechanismus, der dafür sorgt, dass wir eine Tüte Gummibärchen nicht nach fünf Stück zur Seite legen, sondern erst nach fünfzig.
„Genuinely frightened“ – Wenn die Lebensmittelindustrie nervös wird
Die Reaktionen in der Branche reichen von verhaltenem Interesse bis zu offener Besorgnis. Novo-Nordisk-CEO Lars Fruergaard Jørgensen erzählt, dass er von mehreren Lebensmittelkonzernen kontaktiert wurde – mit der simplen Botschaft: „Wir haben Angst.“
Kein Wunder. Denn der Rückgang zeigt sich längst in den Zahlen. Snackverkäufe sinken. Neue Produkte? Fehlanzeige. Marktforschende erwarten für 2024 ein Allzeittief bei Produktneuheiten im Bereich Food & Beverage. Das ist nicht nur ein Problem für Innovationsabteilungen – das ist ein Frühindikator für eine Marktverschiebung.
Und während Metformin, bisher das Standardmedikament bei Typ-2-Diabetes, zunehmend durch GLP-1 ersetzt wird, gerät auch das bisherige Gleichgewicht aus Ernährung, Gesundheitsmarkt und Lebensmittelwirtschaft ins Wanken.

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